UERDINGER GESCHICHTE(N)
Mit Forscherdrang und Farben zum Erfolg
Mit Forscherdrang und Farben zum Erfolg
Edmund ter Meer ebnet Uerdingen den Weg zum Chemie-Standort
Die Uerdinger müssen jetzt ganz tapfer sein: Edmund ter Meer, der Mann, der die Rheinstadt prägte wie kein zweiter, der verantwortlich ist für ihren Aufstieg zum Chemiestandort, war Krefelder. Von ihm zeugen unter anderem – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – die Edmundstraße, die Ter-Meer-Straße und der Ter-Meer-Platz, die Ter-Meer-Siedlung und den Ter-Meer-Brunnen vor dem Casino am Rheindamm …
Dann gab es da bis vor ein paar Jahren die Edmund-Ter-Meer-Schule als Realschule der Stadt Krefeld, deren Gebäude jetzt von der Gesamtschule Uerdingen genutzt werden, um nur das offensichtliche zu nennen.
Der junge Edmund war ein eifriger Forscher
Am 31. Juli wurde er als Sohn von Adelheid, Ehefrau des Seidenfabrikanten Hermann ter Meer geboren. Aus deren Vermögen erhielt er das Startkapital für seine Anilinfarbenfabrik, die er schon als 25-Jähriger in Uerdingen gründete. Vor allem aber wurde er gefördert in seinem Drang zu forschen und zu experimentieren. Die Eltern hatten im Keller ihres Hauses neben Kisten für Obst- und Kartoffelvorräte ein Laboratorium eingerichtet, dass den älteren Bruder nicht besonders interessierte. Edmund ging bereits als 14-Jähriger darin auf und so setzte er durch, dass er bald ein neues, besseres im Geschäftshaus des Vaters bekam. Auch die gewünschten Chemikalien durfte er anschaffen – wenn der benachbarte Apotheker liefern konnte. Er experimentierte mit der Herstellung von Schwefelwasserstoff, Blausäure, Knallgas, Feuerwerk und Schießpulver, bis man sich Sorgen machte um das benachbarte Lager voller Rohseide und die entstehenden Gerüche als belästigend empfand. Edmund bekam also ein etwas abseits gelegenes Gartenhaus zugewiesen, das auch noch mehr Platz bot.
Als Student war Edmund anrüchig
Seine Ausbildung erhielt er erst in der Krefelder Gewerbeschule, dann studierte er in Berlin und Straßburg, wo er bereits nach sieben Semestern promovierte. Ein Artikel in der Uerdinger Rundschau, der 1952 aus Anlass des 100. Geburtstags von Edmund ter Meer erschien, berichtet davon, dass die ausgedehnte Experimentiertätigkeit zunächst nicht zu Anerkennung führte, sondern ziemlich anrüchig war – im wahrsten Wortsinn; wegen der Gerüche, er aus dem Labor mitbrachte, wurde ihm sogar die Wohnung gekündigt.
Dr. ter Meer konnte Karriere machen
Als frischgebackener Doktor wollte ter Meer sich eigentlich an der Uni Karriere machen. Sein Doktorvater, Adolf von Baeyer war ein führender Kopf im chemischen Wissenschaftsbetrieb. Immer setzte er sich für eine zweckfreie Forschung ein, weil er glaubte, dass die Wissenschaft nur reiche Früchte tragen könne, wenn sie unabhängig von wirtschaftlichen Einflüssen wäre. 1905 erhielt er den Nobelpreis für Chemie. Doch Edmund ter Meer entschied sich für eine technische Laufbahn, die er bei der BASF begann, seinem späteren Konkurrenten.
Synthetische Farben machen die Kleidung bunter
Anilin – das die BASF als Badische Anilin und Sodafabrik im Namen führt, war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die treibende Kraft für die rasende Entwicklung der Chemischen Industrie. Der Grundstoff war Teer, der aus Kohle gewonnen wurde und es diente der Herstellung von Farben, die die Kleider bunter machten. Bis dahin wurden Pflanzen oder Tiere zum Färben von Stoffen verwendet. Aus der Purpurschnecke machte man ein unglaublich teures Rot, für Blau wurde schon im ägyptischen Altertum Indigo aus einer Pflanze gewonnen, ebenfalls teuer, bis die Briten es billiger aus ihrer indischen Kolonie importieren konnten, was ihnen allerdings eine Monopolstellung bescherte. Henna, Kurkuma oder Safran waren ebenfalls im Einsatz. Jeder, der mit Curry gekleckert hat, weiß, dass diese Farbe ziemlich haltbar ist. Aber eben nur ziemlich – im Gegensatz zu den Anilinfarben, die ihre Strahlkraft bewahren und deren Herstellung man sich bei der BASF widmete. Die Fabrik war mit 1,4 Millionen Gulden Startkapital ausgestattet, der bayrische König Maximilian II., in dessen Herrschaftsgebiet sich die Fabrik in Ludwigshafen ansiedelte, subventionierte den Standort mit weiteren 1,5 Millionen Gulden.
In einem kleinen Haus am Uerdinger Rheinufer
Die erste synthetische Farbe aus Steinkohlenteer wurde 1832 zufällig von einem deutschen Chemiker entdeckt. Er nannte sie Pittakall, ein strahlendes tiefes Blau. Adolf von Baeyer analysierte das Indigo, Edmund ter Meer entdeckte das Neugelb. Selbstständig gemacht hatte er sich 1877, nachdem er seine mit einem Jahresgehalt von 1200 Gulden dotierte Stelle in Ludwigshafen verloren hatte. In Uerdingen investierte er 1500 Gulden in ein Grundstück am Rheinufer, das Startkapital betrug 30000 Gulden. Er ließ hier ein einstöckiges Häuschen bauen, nur 7,5 Meter breit und 12,5 Meter lang, darin arbeitete und lebte er. Die Betriebsausstattung stammte aus der Pleite einer belgischen Fabrik. Das Personal bestand aus einem weiteren Mitarbeiter und einem Lehrling.
Erfolg und Fusionen
Doch seine Farben wurden in der Krefelder Seidenfärbereien rege nachgefragt, der Betrieb wuchs und nach der Entdeckung des Neugelbs konnte er heiraten. Seine Frau, Wilhelmine Kobbe, arbeitete im Betrieb mit, sie war Prokuristin. Sie expandierten weiter, es gab eine erste Fusion mit der Firma Weiler aus Köln Ehrenfeld. Sie lieferte einen wichtigen Rohstoff für ter Meer, fand in ihrer Nachbarschaft keine Flächen für die Erweiterung des Werks und wurde nach Uerdingen verlagert. Weitere Zukäufe folgten, das Werksgelände wurde immer größer. Auch die Zwischen- und Nebenprodukte für die Farbherstellung fanden in Deutschland und der Schweiz regen Absatz, Tochterfirmen im Ausland entstanden. Das führte zu weiteren Fusionen und der Erfolg blieb ter Meer trotz den Schwierigkeiten treu, die mit dem ersten Weltkrieg und der Weltwirtschaftskrise zusammen hingen. Auch wenn seine Firma schon 1916 der Interessengemeinschaft der deutschen Teerfarbenfabriken beitrat und sich 1925 mit anderen Firmen zur I.G. Farben verband, sorgte er dafür, dass Uerdingen ein bedeutender Standort blieb.
Verantwortung fürs Gemeinwesen
Schon seit 1886 brachte ter Meer sich in die Kommunalpolitik ein, später war er Beigeordneter und bekam vom Kaiser den Titel Kommerzienrat verliehen. Auch im Museumsverein und der Handelskammer engagierte er sich und bekam 1922 zu seinem 70. Geburtstag die Ehrenbürgerwürde durch die Stadt Uerdingen verliehen. Von dem Kunstfreund ter Meer zeugt der Brunnen am Rheindeich vor dem Casino.
Doch sein Engagement ging weiter. Ob es ein christlich-humanistisches Menschenbild war, das ihn dazu trieb, seinen Mitarbeitern seit 1885 eine Betriebskrankenkasse, seit 1898 eine Pensionskasse und seit 1903 eine Unterstützungskasse zur Aufbesserung der Rente zu bieten? Oder reines Kalkül, weil er gut ausgebildete Mitarbeiter als unabdingbaren Erfolgsfaktor erkannt hatte und sie entsprechend an seine Firma binden wollte? Als nach dem ersten Weltkrieg Wohnraum knapp war, lies sich ter Meer von der Gartenstadt-Bewegung inspirieren und die ter-Meer-Siedlung bauen. 116 Wohnungen waren geplant, technisch auf dem neuesten Stand, mit Gas- und Wasserleitungen, elektrischem Licht und Kanalanschluss. Die Häuser wurden in einem Rund angelegt, so dass sich die Familien aus den Gartenflächen im Innern mit Obst und Gemüse versorgen konnten, die Kinder hatten Platz zum Spielen, ein Treffpunkt. Auch das heutige Fabritianum bedachte er mit großzügigen Spenden.
Das Vermächtnis
Ein christlich-humanistisches Menschenbild mag seinen 1884 geborenen Sohn Fritz nicht getrieben haben. Seit 1919 war er Mitglied im Vorstand der väterlichen Fabrik, saß seit 1925 im Aufsichtsrat der I.G Farben. Während der Vater Uerdingen treu blieb, ließ sich der Sohn im Frankfurter Raum einen Landsitz in einem 4,5 Hektar großen Park errichten. Neben der Umstellung der Produktion auf kriegswichtige Produkte, wie beispielsweise das Nervengas Tabun, und dem Einsatz von Zwangsarbeitern, war Fritz auch verantwortlich für den Aufbau eines Chemiewerkes bei Auschwitz, wofür er 1943 das Ritterkreuz des Kriegsverdienstkreuzes bekam und sich nach dem Krieg bei den Nürnberger Prozessen verantworten musste. Als er dort gefragt wurde, ob er die Versuche an Menschen – immerhin 25000 Zwangsarbeiter – für gerechtfertigt gehalten habe, soll er dies für unerheblich gehalten haben: „Den Häftlingen ist dadurch kein besonderes Leid zugefügt worden, da man sie ohnedies getötet hätte.“ Ungeachtet dessen konnte er nach seiner Entlassung in den Aufsichtsrat der Bayer AG zurückkehren – in die die IG Farben nach dem Krieg aufgegangen war. Auch in vielen anderen Firmen saß er im Aufsichtsrat und er war der Schwiegervater des CDU-Politikers Walter Leisler Kiep.
Sein Vater Edmund ter Meer hat davon nichts mehr mitbekommen. Zwar begleitete er auch nach seinem Rückzug aus dem aktiven Geschäft die Entwicklung seines Unternehmens rege, doch starb er nur drei Monate nach seiner Goldhochzeit im November 1931 vor der Machtergreifung durch die Nazis und wurde auf dem Uerdinger Friedhof begraben. So kann man in Uerdingen guten Gewissens einem klugen und arbeitsamen und wohltätigen Edmund ter Meer gedenken. Und die Verantwortlichen in der Chemischen Industrie lassen sich hoffentlich bald wieder von dem Gedanken inspirieren, dass Mitarbeiter ein Erfolgsfaktor sind und entsprechend Verantwortung für sie übernimmt – und nicht nur ein Kostenfaktor, den es zu minimieren gilt.
Text: Susanne Böhling
Fotos: Archiv Horst Peterburs, Uerdinger Heimatbund e.V.