VIER FREUNDE
UND EIN KLÄRWERK

Für das Portrait, das es in jeder Rhein Schau gibt, werde ich ein Interview mit Christoph Becker führen.
Er ist einer der vier Männer, denen das alte Klärwerk in Uerdingen gehört. Im Nieselregen steht er entspannt
mit einer Kaffeetasse in der Hand vor der Tür des Wärterhauses. Neben dem Gebäude liegen
eine Menge Paddelboote, die zunächst nicht ins Bild passen. „Ich bin der Christoph“ begrüßt er mich
und lenkt meine Aufmerksamkeit aufs Klärwerk, weg von den Booten. Von denen wird später die Rede
sein, denn sie haben durchaus etwas mit dem Klärwerk zu tun.
Wir gehen hinüber zu dem Denkmal und schauen auf den prächtigen Haupteingang, der in die Klärhalle
führt. Er ist heute ungenutzt, weil er zur B288 ausgerichtet ist. Sofort sprudelt Christoph los:

Christoph Becker: Über dem Eingang sehen wir das Krefelder Wappen, den heiligen Dionysius.

Wirklich? Der trägt auf dieser Darstellung gar nicht seinen
Kopf unter dem Arm, so wie sonst.

Christoph Becker: Es gibt auch solche Darstellungen des heiligen Dionysius.
Eine ähnliche befindet sich am Krefelder Hauptbahnhof.

„Okay“. Ich will nachsehen und inzwischen habe ich sie oben am First über dem Eingang zu TSC Seidenstadt gefunden.

Christoph Becker: Das ist nämlich das Krefelder Klärwerk, das auf Uerdinger Grund gebaut wurde. Krefeld hatte damals, 1909, rund hunderttausend Einwohner, Uerdingen war noch eigenständig und hatte nur
etwa zehntausend. Aber es sollte auch das Wasser aus den Gewerbebetrieben am Linner Hafen reinigen. Linn gehörte damals schon zu Krefeld und der Ausbau des Hafens war der Versuch der Krefelder, Uerdingen mit seiner Lage am Hafen Konkurrenz zu machen.

Das klingt so, als ob die Uerdinger Industriebetriebe das Klärwerk nicht genutzt hätten. Hatten die ein eigenes Klärwerk?

Christoph Becker: Nein. Die Uerdinger Industrie lag doch direkt am Rhein. Der war bis in die 60er Jahre eine Industriekloake. Das wurde erst in den 1980er Jahren besser. 

Wir wenden uns ab und der Blick fällt auf das Klärwärterhaus.

Christoph Becker: Das wurde erst 1922 gebaut und stand ursprünglich da, wo jetzt die B 288 verläuft. Die wurde 1934 gebaut, als Zubringer zur Rheinbrücke. Und da hat man das Haus einfach verrückt. Keine Ahnung, wie das ging, aber es gibt sichere Indizien dafür, dass es nicht abgetragen und wieder neu aufgebaut wurde.

Auch wenn ich sehr neugierig bin und es mich reizt, danach zu fragen, schweige ich, das Klärwerk und Christoph Becker sollen im Mittelpunkt der Geschichte stehen. Wir betreten das Gebäude durch den Seiteneingang. Sofort zeigt er in der Klärhalle auf einen Tisch, auf dem eine Reihe von Laborgläsern mit mehr oder weniger trübem Wasser stehen und erklärt.

Christoph Becker: Hier kann man zeigen, wie Klärwerke früher funktioniert haben. Es gab zwei Methoden: Bei der einen stand das Wasser und man hat gewartet, dass sich die Schmutzpartikel abgesetzt – sedimentiert – haben. Das hatte zwei Nachteile: Erstens brauchte man wesentlich mehr Fläche. Und: Wenn das gereinigte Wasser abgelassen war, mussten Arbeiter hinuntersteigen und den Schlamm rausschippen.

(Er zieht ein angewidertes Gesicht)

Hier in Uerdingen, war es ein Siebverfahren. Auf zwei symmetrisch angeordneten, rutschähnlichen Kanälen befanden sich Rechen, die den Schmutz auffingen. Die waren nur fünf Millimeter weit auseinander. Also keine Chance für Wattestäbchen, das Meer zu erreichen, zumal es die damals noch gar nicht gab. Zunächst waren die Klärwerke nur für die Industrieabwässer gedacht. Die Toiletten wurden erst später angeschlossen, 1910, da war das Klärwerk schon ein Jahr alt. Schuld daran war die Cholera. Die Menschen hatten furchtbare Angst vor dieser Krankheit, das war ja auch eine Pandemie. Deswegen sahen sich die Behörden gezwungen, die Abwässer der Haushalte auch durch die Klärwerke laufen zu lassen.

Aber bakteriell wurde die Abwässer doch gar nicht gereinigt?

Christoph Becker: Nein, aber durch die Kanalisation wurden sie weit weggeschafft. Weg von den Menschen in der Stadt.

Das leuchtet ein. Schließlich lebten hier damals noch nicht so viele Menschen und es gab viel mehr freie Flächen –Uerdingen und Krefeld lagen nicht so nahe zusammen wie heute.

Christoph Becker: Hier im Klärwerk werden solche Zusammenhänge anschaulich und wir leisten unseren Beitrag zur Aufklärung – die Erklärungen der Wissenschaftler sind meist abstrakt und gehen uns nicht tief genug unter die Haut. Das merken wir ja auch jetzt wieder, bei der Corona-Pandemie.

Deswegen seid Ihr Eigentümer des Klärwerks geworden?

Christoph Becker: (lacht) Natürlich nicht, aber mit dem Erwerb so eines Denkmals übernimmt man auch eine öffentliche Verantwortung. Das wird ja zum Denkmal ernannt, weil die Öffentlichkeit Interesse an dem Gebäude hat. Und diesem Interesse, dieser Verantwortung wollen wir gerecht werden. Deshalb bieten wir Führungen an, das Klärwerk ist inzwischen Museum.

Wie das?

Christoph Becker: Wir gehören mittlerweile zu einem Netzwerk von Wassermuseen und verpflichten uns dadurch zusammen mit dem UNESCO IPH-Programm einen Bildungsauftrag umzusetzen (www.watermuseums.net). Das Water-Heritage, also die Zusammenhänge der historischen Reinigungsanlage, nehmen wir in Krefeld als Ausgangspunkt, um den Menschen ihren Blick für eine nachhaltige Zukunft zu schärfen.

Wie finanziert sich das Museum?

Christoph Becker: Wir bekommen für den Museumsbetrieb weder öffentliche Förderung noch Eintrittsgelder. Manche geben im Anschluss an die Führung eine Spende. Wir hatten allein in diesem Jahr in den ersten zehn Monaten 2000 Menschen hier. Inzwischen gibt es einen Förderverein, der Spendenquittungen ausstellen kann. Aber das würde nicht reichen. Der größte Sponsor ist unsere Firma.

Und was war dann nun der Grund für den Erwerb des Klärwerks?

Christoph Becker: (lacht) Es ist unser Firmensitz. Wir sind eine Firma, die in ganz Deutschland Events veranstaltet, Outdoorevents, unter dem Namen Querfeldeins. Vielleicht sind dir die Kajaks aufgefallen, neben dem Klärwärterhäuschen?

„Klar“ – Jetzt nur nicht erwähnen, dass ich sie im Stillen als „Paddelboote“ bezeichnet habe, das wäre mir peinlich. Und wofür braucht Ihr die?

Christoph Becker: Kanutouren haben wir auch im Programm. Die Firma gehört vier Freunden, mit mir noch Klaus Korbmacher, Andreas Stöneberg und Till Preis. Wir kennen uns vom Wildwasserkajak. Wir sind Extremsportler und wissen, dass wir uns blind aufeinander verlassen können. Wahrscheinlich muss man diese Erfahrung mitbringen, damit man dann den Mut hat, sich auf so ein Projekt wie das Klärwerk einzulassen.

Ihr seid Extremsportler? Wildwasserkajak? Da sehe ich jetzt keinen Zusammenhang mit einem Klärwerk?

Christoph Becker: Ich finde das nicht so abwegig. Beim Klärwerk und dem Wildwasserkajak ist das Wasser das Bindeglied. Vielleicht liegt es daran, dass wir dabei erfahren haben, wie schön, wertvoll – und wie verletzlich – die Natur ist und wollen dazu beitragen, dass nicht alles kaputt geht.

Wie seid Ihr ursprünglich auf das Klärwerk in Uerdingen gekommen?

Christoph Becker: Wir hatten unser Büro in Essen, im Fördersaal der Zeche Wohlverwahrt. Aber irgendwann waren wir die Fahrerei satt. Till wohnt in Duisburg, Klaus in Neuss, und ich ein paar Meter nördlich der Stadtgrenze von Krefeld in Rumeln Kaldenhausen. Meine Frau ist didaktische Leiterin der Gesamtschule Uerdingen, meine Kinder gehen auch auf diese Schule. 

Seine Frau und die jüngste Tochter, in der Funkenmariechen-Uniform der KG Op de Höh kommen zufällig gerade rein, nach einem Auftritt beim Karnevalserwachen auf dem Marktplatz, und holen ein Auto.

Christoph Becker: Uerdingen ist unser Lebensmittelpunkt. Und da habe ich mich hier mal umgehört und bin irgendwann aufs Klärwerk gestoßen. Wir haben uns sofort in das Gebäude verliebt. Das war 2014. Die Stadt Krefeld war damals Eigentümerin, wir mussten dort anklopfen, als wir es kaufen wollten. DerRat hat dem Kauf auch schnell zugestimmt.

Das klingt so, als ob Du das eher ungewöhnlich findest?

Christoph Becker: Ja, allerdings. Das Klärwerk ist einzigartig. Aus dieser Zeit gibt es noch ganze drei Stück. Eines in Frankfurt und eines in Prag. Dabei gab es zehntausende! In New York und überall auf der Welt. Aber die sind alle abgerissen worden. Insofern ist das Klärwerk ein Juwel. Ich bin in Essen, im Ruhrgebiet, aufgewachsen. Dort hat man ein ausgeprägtes Bewusstsein für Industriekultur und das habe ich mitbekommen. Hier in Krefeld hat man das allem Anschein nach nicht. Ich habe den Eindruck, dass die Stadt noch in den 1960er und 1970er Jahren hängengeblieben ist. Es scheint kein Anliegen zu sein, Stadtgeschichte zu erzählen. Wir machen das inzwischen ansatzweise. Von unserer Website www.klaerwerk-krefeld.org führt ein Link zur Seite www.industriekultur-krefeld.de, auf der wir einige dieser Denkmäler vorstellen undauch kleine Routen ausweisen. (Pause) (er lächelt wieder) Und dann hat es noch bis  2018 gedauert,bis wir den Kaufvertrag hatten.

Was habt Ihr bezahlt?

Christoph Becker: Das dürfen wir nicht verraten. Nur so viel: Nicht mehr als man für eine Doppelgarage ausgeben müsste. Das ist aber gar nicht wenig, wenn man bedenkt, was die Sanierung kostet. Bei so einem alten Gebäude ist das ein Fass ohne Boden.

Wie finanziert Ihr diese umfangreichen Sanierungsarbeiten?

Christoph Becker: Wir bekommen Geld aus Denkmalmitteln des Landes. Inzwischen ist das Klärwerk auch als national wertvolles Baudenkmal ausgewiesen und wir haben Bundesmittel beantragt. Solche Berge Papier! Aber auch in dieser Hinsicht gilt: Unsere Firma ist der Hauptsponsor.

Wieviel habt Ihr denn inzwischen investiert?

Christoph Becker: (lacht) Das will ich gar nicht so genau wissen.

Wieviele Mitarbeiter hat eure Firma?

Christoph Becker: Wenn nicht wegen Corona alle Events ausfallen – 100, deutschlandweit, wir organisieren die Events ja auch deutschlandweit. Fünf Mitarbeiter haben wir in der Verwaltung.

Wann wollt Ihr fertig sein?

Christoph Becker: Wenn man seriös sein will, kann man dazu nichts sagen. Das wären nur Spekulationen! Wie gesagt, das ist ein Fass ohne Boden. 

Wir sehen durch eine Tür in den Raum an der Nordseite des Klärwerks, den Pumpensaal, den man als erstes sieht, wenn man über den Rundweg auf das Gebäude zugeht.

Christoph Becker: Hier wollten wir unser Büro unterbringen. In den 1980er Jahren haben hier ein paar Künstler eine Töpferei betrieben. Sie haben diese Bühnen hier reingebaut, die wir noch entfernen werden. Die Gerüste stammen von uns, die brauchen wir um die Fensterscheiben zu sanieren. Insgesamt 1598 von ihnen sind kaputt. 400 haben wir fertig. Wahrscheinlich wird uns das Klärwärterhäuschen als Firmensitz reichen. Dann kommen hier die Schautafeln fürs Museum rein. Und wir wollen die 150 Quadratmeter als Veranstaltungsraum nutzen. In Uerdingen gibt es ja nichts dergleichen. Später soll auch die Klärhalle Veranstaltungsraum werden, die hat zirka 350 Quadratmeter.

Dann wirst Du auch noch Veranstalter?

Christoph Becker: Das ist nicht nötig. Diese Räume inspirieren so viele Menschen, um die Bespielung des Raums muss ich mir keine Sorgen machen. Jetzt am Wochenende kommt eine Gruppe Dudelsackspieler, die hier musizieren wollen. Die Karnevalsvereine haben schon Interesse angemeldet. Manche wollen hier heiraten. Alle wollen ins Klärwerk. Allerdings werden wir bei der Beantragung der Konzession Rücksicht darauf nehmen, dass die einzige Straße hierher durch ein Wohngebiet führt. Um 22 Uhr muss Schluss sein.

Ich habe gehört, das Klärwerk hat auch die Macher von Babylon Berlin inspiriert. Die hatten hier auch einen Drehtermin?

Christoph Becker: Ja, für die vierte Staffel, die ist gerade im Schnitt und wird nächstes Jahr ausgestrahlt. Die Serie läuft ja weltweit und  dann kommt das Uerdinger Klärwerk auch in die USA und Taiwan. Aber der Aufwand, den die dafür betrieben haben, das war grenzwertig. Die ganze Straße war komplett zugestellt mit Fahrzeugen, die zu dem Drehgehörten. Das war den Anwohnern kaum zuzumuten und ich finde es toll, dass sich niemand beschwert hat.

 

 

 

Das Gespräch führte Susanne Böhling

Fotos: privat

Mehr Infos unter: www.klaerwerk-krefeld.org

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