PORTRÄT DES SÄNGERS UND AUTORS MARKUS GRIMM
„IM JETZT IST ES GUT“
Markus Grimm ist Sänger, Songwriter, Texter, Autor, ehemaliger Popstars-Gewinner und – wie es der Name bereits vermuten lässt – Nachfahre der berühmten Brüder Grimm.
„Ach, schön hier“, sagt Markus Grimm mit Blick auf den Rhein. Und würde man seinen Freunden sowie Kolleg*innen glauben, dann wäre Grimm ein Gemischtwarenladen. Er selbst begreife sich als Künstler – mittlerweile, gibt er lächelnd zu und ergänzt: „Im Kern beginnt bei mir alles mit einem Blatt Papier und Stift und dann geht’s in die verschiedenen Kanäle.“ Das berufliche, mittlerweile klarere Selbstbild sei verbunden mit einer Akzeptanz und Zufriedenheit, welche sich über die Jahre erst einstellen musste. Das habe auch mit seiner Castingvergangenheit zu tun. Markus Grimm war 2004 einer der Sieger bei Popstars und daraufhin Mitglied der Band Nu Pagadi. „Das Jahr war rasant“, resümiert er heute. „Wie ein Wimpernschlag. Ich kam gar nicht mehr zur Ruhe.“
Solch eine Erfahrung streiche die gesamte vorherige künstlerische Vergangenheit erstmal auf null. „Das zählt einfach alles nicht mehr“, meint Grimm. Der Weg nach Popstars war ein langer und weiter und gerade in der aktuellen Pandemie hatte er das Gefühl, angekommen zu sein. Denn plötzlich gab es auch in seinem Leben sehr viel weniger Ablenkung. „Und zum allerersten Mal habe ich ein komplett zusammenhängendes Album produziert“, erzählt er. Die Platte enthält 16 Songs, und der aktuelle Song daraus, ‚Wolken‘, ist gerade erschienen. „Ich habe ja immer schon Musik gemacht. Und als ich 2018 ein Buch mit Musik-CD rausbrachte, waren damit alle alten Songs, und auch aller Ballast, weg. Ich hatte Platz für Neues“, so Grimm. „Die Pandemie hat mir ermöglicht, dass ich mich konzentrieren und ganz neue Erfahrungen mit verschiedenen Leuten machen konnte.“ Natürlich seien sehr viele Auftritte weg gefallen. „Aber“, sagt er mit einem charmanten Lächeln, „Ich war ja auch immer schon mega breit aufgestellt.“ Und da ist er, der Schalk im Nacken.
Wir haben Musik gemacht, weil wir Musik machen wollten.
Eigentlich habe er noch nie auf dem Sofa gelegen und gewartet, bis sich irgendwas ergeben habe. Bei anderen habe er das schon beobachten können, aber seine Lebenseinstellung sei das nie gewesen. „Ich muss immer in Bewegung sein und deswegen habe ich auch so viele Spielwiesen“, erklärt er. Seine Karriere begann klassisch und doch auch zufällig: im Chor. Aufgewachsen in einem kleinen katholischen Dorf in Moers war er natürlich auch Messdiener, besaß den Schlüssel zu einer Kirche und glaubte sich eines Tages allein dort, als er anhob und „I believe I can fly“ sang. „In dem Moment stand der Chorleiter vor mir und sagte: ‚Du kommst mit in unseren Jugend-Chor!‘“ Und das tat er dann auch.
Grimm war ein kreatives, wenn auch teilweise ausgegrenztes Kind, und wurde bereits früh mit seinem Namen konfrontiert. „Grundschullehrerinnen mit wilden Batik-Kostümchen meinten, ich müsse Märchenrollen spielen, weil ich Grimm heiße“, erzählt er. Förderlich für sein Klassen- Image war das natürlich nicht. Und eigentlich, so Grimm, gebe es da gar kein großartiges Verwandtschaftsverhältnis.
Seine Mutter würde sicherlich widersprechen. Hat sie auch einmal. Denn da brachte sie „so nen öAhnenbrief von Uroma Erika mit in die Schule“. Eigentlich wollte sie ihrem Sohn, dem „kleinen, dicken Außenseiter, der immer nur Märchen erzählte“, wie Grimm es selbst beschreibt, helfen. „Und ich dachte: ‚Ja Mama! Leg‘ denen noch einen Beweis vor, dass ich wirklich ein Grimm bin!‘“ erzählt Grimm laut und grinst. So sei es mit seinem Namen immer schon gewesen. Er fungierte als Fluch ebenso wie als Segen.
Nach Moers sei die Familie übrigens durch den Vater gekommen. „Ich bin mit 14 von zu Hause weg und kam als Kapitän wieder. Und was ist Dein Weg?“, pflegte der Schifffahrtkapitän seinem Sohn, der eigentlich immer. nur auf die Bühne wollte, regelmäßig zu sagen. „Ich weiß“, so Grimm heute, der wollte, dass ich was Vernünftiges mache. Es hat ewig gedauert, bis wir uns einig geworden sind.“
Dabei hatte er es als Nachzügler in der Familie eh schon schwer. Denn dazu kam, dass es seine beiden, sehr viel älteren Geschwister dem Vater nachtaten und ebenfalls im Schifffahrt-Bereich arbeiteten. „Und dann kam ich und sagte: ‚Hallo, ich will auf die Bühne!‘“ Grimm grinst. Später habe er übrigens Videokassetten von der Silberhochzeit seiner Eltern gefunden. „Da stand mein Vater in einer riesen Kapelle und hat den Hans Albers gegeben und dann dachte ich: „Ah okay!“. Im Nachhinein ergäbe vieles Sinn.
Bodenständig seien seine Eltern eigentlich gewesen. „Mittelklasse Niederrheiner“, meint Grimm. Es ging darum, in dem katholischen, kleinen Dorf zu sehen und gesehen zu werden. Heiligabend mit Pelz in der Kirche!“, empört er sich. „Das sind alles Eigenschaften, die bis heute komplett an mir abperlen. Ich war nie der Koks- und Nutten-Partygänger“, sagt er, und fügt grinsend hinzu: „Da musst Du jetzt sehen, wie Du das schreibst.“ Doch da überträgt er was. Der Geschichtenerzähler ist schließlich er, und nicht ich.
Trotz allem: seine Kindheit sei eine tolle gewesen, besonders, was die Sommer anging. Denn die verbrachte er gemeinsam mit seinem Vater auf dem Schiff. Und dennoch war es eines Tages seine Mutter, bei der er sich irgendwann outete. „Ich wusste schon immer, dass Du schwul bist“, sagte sie dann. Der Vater kommentierte sein Outing mit nur einem Satz: „Ach so, Männerfreundschaften“, sagte er. „Und ich sagte dann: ‚Ja genau Papa, mit Kegelclub und so‘‘‘.
Natürlich habe er es auch mal mit Frauen versucht, weil „ist ja nur eine Phase“, sagt er, und malt Anführungszeichen in die Luft. Denn es war auch die Zeit, als Freddy Mercury an der „Schwulen-Krankheit“ gestorben sei, wie es hieß. „Damals war ich zwölf und dachte: ‚Nein, das darf nicht sein!‘. Zudem war Homosexualität ja noch illegal. Das war in dem Alter fatal für mich!“, so Grimm heute. Der sogenannte Schwulenparagraf wurde 1994 abgeschafft. Es gab also mehrfach Druck. Die eigene Homosexualität und der berufliche Wunsch, der nicht dem Sicherheitsbedürfnis der Eltern entsprach. Zwar habe er eine Ausbildung als Einzelhandelskaufmann abgeschlossen („bei Obi!“), doch dann habe er „in den Sack gehauen“ und sei nach Wien geflüchtet, um dort als Au-pair „bei einer total süßen Familie im 10. Bezirk“ zu arbeiten. 19 war er da, und in der Zeit habe er sich extrem ausgelebt. Arbeitete tagsüber, zog nachts durch Wien. „Ich habe die Kultur so aufgesogen, das Nachtleben und die Freiheit, das war unfassbar schön“, erinnert er sich und sagt: „Dass ich mir zu der Zeit nicht irgendwas weg geholt habe ist schon auch erstaunlich“. Dennoch: Da es niemanden mehr im Außen gab, mit dem er sich auseinanderzusetzen hatte, blieb die Beschäftigung mit dem Selbst. „So habe ich mich dann kennengelernt“, resümiert er.
Es folgten Stationen als Zivi und Redakteur, in einem Verlag und an einer Theaterpädagogikschule, und beinahe hätte er sogar ein Schauspielstudium aufgenommen – doch da fehlte ihm letztlich der Mut, wie er heute sagt.
„Heute könnte man vielleicht denken, der Weg war ja logisch und straight, aber eigentlich bin ich zick-zack im Dschungel hin und her gesprungen“, erzählt Grimm. „Freunde von mir sagen immer, ‚Was du mit Mitte 30 schon gemacht hast, würde für drei normale Leben reichen‘.“ Das stimme vermutlich auch. Er sei stets rast- und ruhelos gewesen. Und trotz dieses eigenwilligen Lebensentwurfs gab es noch eine Versöhnung mit dem Vater. „Das war in der Nacht des Popstars-Finale“, erzählt Grimm. Da habe sein Vater schon Krebs im Endstadium gehabt und sich trotzdem in die Show geschleppt. „Und als ich den Scheiß gewonnen habe, kam er später zu mir, hat mich in den Arm genommen und gesagt: „Das ist Dein Weg, mein Sohn, Du wirst ihn gehen‘“. Grimm sei froh, dass das da passiert ist. Denn den unweigerlichen Absturz habe der Vater nicht mehr mitbekommen. „Er ist auf meinem größten Erfolg gegangen, und das tut mir sehr gut.“ Grimm habe viel gelernt. „Ich habe sehr viel Erfahrung mitgenommen, die mir keiner mehr nehmen kann. Die Mechanik der Vermarktung beispielsweise. Jedes kleine Puzzleteil ist wichtig“, weiß Grimm heute. 2009 brachte er gemeinsam mit Martin Kesici das Buch ‚Sex, Drugs und Castingshows‘ raus, welches dreimal neu aufgelegt wurde. Durch diese Tätigkeit kam er zu Flecki, dem Protagonisten seiner Kinderbücher. Kommerziell war das Buch damals der totale Reinfall, dennoch ergab sich auch hieraus der nächste Auftrag. Gemeinsam mit Michael Grimm, ebenfalls verwandt mit den Grimm-Brüdern, produzierte er acht Jahre lang erfolgreich „Grimm trifft Grimm“. Und Flecki, der Protagonist seiner Kinderbücher, laufe ihm noch heute hinterher. Beispielsweise haben die beiden Nationalspieler Felix Neureuther und Basti Schweinsteiger ein Kinderbuch heraus gebracht, wozu er die Texte der Musik-CD schrieb.
Heute habe er eine halbe Stelle als Theaterpädagoge und damit ein festes Income, wie er es nennt. Auch sein Ehemann habe viel Ruhe rein gebracht. Doch wer nun vermute, dass Grimm sich darauf ausruhe, habe ihn falsch eingeschätzt. „Ich möchte mich ja selber einbringen“, sagt er. Das mache er heute jedoch gezielter. „Ich habe früher auf so vielen Hochzeiten getanzt und mich zerrissen. Heute habe ich den Luxus, auch mal Nein sagen zu können, wenn mir ein Projekt nicht zusagt.“ Und wenn ihm langweilig würde, mache er beispielsweise eine Insta-Kochsendung. „Da fragte man mich dann, ob ich sowas nicht mal beruflich machen möchte? Da habe ich dann gesagt: Ich hab schon mein Hobby zum Beruf gemacht, jetzt lass‘ mir mal mein Hobby!“ sagt er lachend. Dennoch sei er jetzt in der App von Johann Lafer, weil dieser seinen Spargel im Blätterteig so geil fand. „So ergibt sich eben das nächste Puzzlestück“, so Grimm, der sich selbst als ein harmoniesüchtiger, kreativer Chaot, unbedingt auch als Tollpatsch, beschreibt. „Aber ich bin auch liebenswert“, sagt er selbstbewusst. Denn das bedeute für ihn, Liebe zu bekommen, wenn man es gar nicht drauf angelegt habe. „Darüber muss man sich auch bewusst werden“, sagt er. „Sachen, die Du heute machst, sorgen vielleicht irgendwann dafür, dass Du die Liebe dafür später abkriegst.“ Beispiel: Als Nu Pagadi Jahre später mit den neu aufgelegten Songs auf Promo-Tour ging, gab ihm das einen neuen Fokus in der Öffentlichkeit. „Und da habe ich ganz viele Nachrichten von Männern in ihren Mittdreißigern erhalten, wie dankbar sie mir dafür sind, dass ich es ihnen leicht machte, als ich mich damals mit 24 Jahren in der Show outete.“ Das war ein relativ riskantes Unterfangen. Grimm jedoch machte das geschickt und mit angemessener Normalität. „Es gibt noch etwas“, sagte er, noch im Casting und durchaus angewiesen auf die Anrufe der verliebten Mädels, „das zu mir gehört: Ich bin schwul. Ende der Durchsage“. Das brachte ihm übrigens seine erste Titelseite in der Bild-Zeitung ein. Und klar, auch er konnte diesen Weg so nur gehen, weil das zuvor andere Männer für ihn getan hatten. Er nennt Namen wie Freddy Mercury, George Michael, Holy Johnson. „Die haben Türen eingetreten mit ihren provokativen Musikvideos.
An Glück und Zufällen kann man auch vorbei laufen
Es sitzt sich entspannt und unterhaltsam mit Grimm am Rhein. Wie viel Glück hattest Du so im Leben?, möchte ich wissen. „Verdammt viel“, sagt Grimm, ergänzt aber: „An Glück und Zufällen kann man auch vorbei laufen, wenn man nicht offen dafür ist.“ Ob seine Vorfahren stolz auf ihn seien, wisse er nicht. Ganz sicher sei er sich aber, dass sein Vater stolz auf ihn wäre, und noch wichtiger ist es ihm eigentlich, dass die Personen, mit denen er aktuell sein Leben teile, stolz sind. Die Nachbarschaftsfamilie beispielsweise. Da könne die kleine Lotte den Songtext zur aktuellen Single besser als er selbst.
„Das war ein angenehmes Gespräch“, sagt Grimm am Ende. „Es kamen gar nicht die typischen Fragen“, meint er. Diese seien natürlich auch mit seinem Namen verbunden. Dabei sei die Grimm-Verwandtschaft eine über drei Ecken irgendwas. „Das ist mir alles total egal! Meine Arbeit heute hat damit ja nix mehr zu tun. Ich bin dankbar, dass der Name Grimm nur noch ein Schatten ist, dem ich entwachsen bin und dass ich nun meine eigenen Geschichten erzählen und schreiben kann.“ Früher habe hinter seinem Namen in Klammern ‚Ex-Pop-Stars-Gewinner‘ gestanden. Heute steht da ‚Autor, Sänger, Künstler‘. „Ich habe mich über die Jahre frei geschwommen“, sagt er. Allerdings: Den Tag des Vorlesens, den mache er weiterhin mit. Dann liest er Kindern in der Grundschule Grimms Märchen vor. „Weil es einfach schön ist und passt“, sagt er.
Text: Nina Höhne Fotos: Tobias Ritter, privat
WOLKEN
Die neue Single von Markus Grimm
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