PORTRÄT DER GESCHÄFTSFRAU AGNES EMMERICH

WER RASTET, ROSTET!

Agnes Emmerich ist eine bekannte Persönlichkeit in Uerdingen. Ihr Bekleidungsgeschäft Modehaus Emmerich betreibt sie seit über 60 Jahren. Damit ist sie selbst bei Vertreter*innen eine große Ausnahme.

„Sie sind mit dem Fahrrad hier? Wie schön!“, ruft Agnes Emmerich, als sie mich an diesem Vor- mittag vor ihrem Geschäft begrüßt. „Ich freue mich, dass Sie da sind“, ergänzt sie. Emmerich ist kompetent im Umgang mit Menschen.

Ihr Geschäft heute ist still und leer. Ein Pro- dukt der Pandemie. „Wie geht’s denn, Frau Emmerich?“, möchte ich wissen. „Naja, was soll ich sagen“, beginnt die 82-Jährige. „Sowas habe ich noch nie er- lebt.“ Dieses Gespräch beginnt wohl wie die Meisten heutzutage. Statt Small Talk gibt es Pandemie-Talk. Statt über das Wetter wird über Zahlen gesprochen. Momentan sei eine ganz schlimme Zeit. „Die Leute wollen einfach keinen Test machen“, erzählt Emmerich, und kann das auch verstehen. „Naja“, sagt sie, „trinken Sie einen Schluck Schweppes mit mir?“ Schweppes, das sei als Lieblingsgetränk der Cola gefolgt.

Seit über 60 Jahren ist Agnes Emmerich nun selbstständig. Für sie war das seit jeher eine Selbstverständlichkeit. „Ich wollte immer nur ein Geschäft haben, das war mein Traum!“, sagt sie. Die Ausbildung als Einzelhandelskauffrau machte sie im Seidenhaus Evertz. „Das war früher der Laden“, sagt sie. „Und ich war das erste Lehrmädchen ohne Abitur. Um dort anfangen zu dürfen, musste ich eine extra Prüfung machen und die habe ich prima bestanden“, so Emmerich, die als Kind die Volksschule in Hohenbudberg besuchte. Dort wuchs sie auch gemeinsam mit fünf weiteren Geschwistern auf, Emmerich war von insgesamt sechs Kindern das Zweitjüngste, geboren wurde sie 1938. „Ich komme aus einem Geschäftshaushalt, bei uns steckte das einfach drin. Alle haben mitgeholfen, das war wunderbar und Selbstständigsein war für mich nichts Neues. Es war eine schöne Zeit“, so Emmerich.

In den sechziger Jahren wurde das gesamte Dorf an Bayer verkauft. „Ach, das war schlimm“, erinnert sich Emmerich, die noch daran denken muss, dass sie gemeinsam mit der Hausangestellten die Letzte war, die in Hohenbudberg geschlafen hat. „Ich wollte da nicht weg! Und dann musste ich. Ich weiß noch, dass ich von der Lehre mittags zum Essen nach Hause gekommen bin und da sagte meine Mutter: Heute musst Du hier schlafen!“ Ganz schlimm sei das damals gewesen, heute lebe sie gerne hier, und meint damit Uerdingen, wohin die Eltern gemeinsam mit den Kindern zogen und auf der Traarer Straße dort anknüpften, wo in Hohenbudberg aufgehört wurde: gekauft wurde ein Haus inklusive Geschäftsräume. Es ist das Haus, in dem sie und ich heute sitzen. Der Neubau entstand 1965, umgebaut wurde noch einmal 1988. „Nebenan ist mein Wohnhaus“, erklärt Emmerich, „als die Kinder noch klein waren, war das ideal. Das war mir auch wichtig: dass ich ruckzuck drüben sein kann!“ Denn Emmerich war immer selbstständig, auch, als sie Mutter von zwei Kindern wurde. „Ich hatte aber immer Jemanden zur Hilfe zu Hause, und dadurch hat alles gut geklappt“, erinnert sie sich.

 „FÜR MICH WAR MODE IMMER WICHTIG.“



Angefangen hat sie jedoch in einem anderen Haus. Emmerich erinnert sich: „Ich kam damals aus der Kirche, und dann war auf der Traarer Straße 42 ein Geschäft frei. Da habe ich gedacht: Das wär was für Dich!“ Zu diesem Zeitpunkt hatte sie gerade erst die Lehre beendet und war 20 Jahre alt. „Meine Eltern haben eine Bürgschaft übernommen, alles hat sofort geklappt und es hat mir von Anfang an Spaß gemacht“, beschreibt sie den Beginn ihrer Selbstständigkeit. 1960 war das. Angefangen hat sie mit sogenannten Kurzwaren: Reißverschlüsse, Nähseide und so weiter. Als Agnes Emmerich dann in das Geschäft ihrer Eltern zog, wurde die Auswahl größer. Zu den Kurzwaren gesellten sich Pullover, Blazer, Jacken, Unterwäsche und Röcke. „Letztere wurden damals ganz viel gekauft“, erinnert sie sich.

Und, wie war das so, als selbstständige Frau zu dieser Zeit, Frau Emmerich? „Darüber habe ich mir gar keine Gedanken gemacht. Für mich war es selbstverständlich, dass ich mich selbstständig mache“, sagt sie über die Zeit, in der Frauen von Seiten der Gesellschaft größtenteils der Küche und Kirche zugeordnet wurden. „Es machte einfach Spaß und ich kann mir auch heute nicht vorstellen, ohne Geschäft zu sein“, so Emmerich, die immer noch Spaß an ihrer Arbeit hat. „Und die Leute sagen ja auch zu mir: ‚Machen Sie ja weiter, wo sollen wir sonst hin?‘“.

Emmerich wurde Ende 1938 geboren. „Sie haben den Krieg miterlebt, oder?“, frage ich. „Ja, den Krieg habe ich erlebt, das war eine schreckliche Zeit, aber darüber möchte ich lieber nicht sprechen.“ Emmerich ist parteipolitisch engagiert. Aber auch darüber möchte sie eher nicht sprechen. „Wie würden Sie sich denn charakterlich beschreiben?“, versuche ich stattdessen. „Ich würde sagen, dass ich ehrlich bin. Ja, das bin ich! Ich habe ein gutes Verhältnis zu fast allen Leuten, und wenn was ist, muss das geklärt werden und dann ist das wieder gut“, antwortet sie. Und damit kommt sie wieder auf das Geschäft zu sprechen, denn ehrlich, das seien auch ihre Angestellten. „Wir sind ehrlich, meine Verkäuferinnen und ich. Wir würden nie eine Hose verkaufen, die nicht sitzt!“, sagt sie. „Nein, wirklich. Das würden wir nicht machen!“

Ihrer Meinung nach ist es auch diese Ehrlichkeit, welche das Geschäft über Uerdingens Grenzen hinaus bekannt macht. „Wir haben viele, viele Stammkunden“, so Emmerich. „Und wir haben eine riesige Auswahl, beispielsweise Blazer, Pullover, Blusen, Westen oder Hosen. „Eine Freundin kriegt oft die Krise, weil ihre Hosen entweder oben zu eng oder unten zu lang sind“, erzähle ich spontan. „Aber zu lang ist doch kein Problem!“, ruft Emmerich, „das haben wir ruckzuck gekürzt! Zu lang ist wirklich kein Problem!“ Auch Unterwäsche gibt es hier zu kaufen. „Die verkauf‘ ich den Leuten sofort. Wenn der BH nicht sitzt, das ist furchtbar, schlimm!“, sagt Emmerich. Es sei anstrengend, einen BH irgendwo zu kaufen. „Hier ist das einfach. Die Leute ziehen das an oder nehmen eine Auswahl mit nach Hause – kein Problem!“, so die Fachfrau. „Eine Auswahl mit nach Hause nehmen?“, frage ich. „Ja klar“, so Emmerich. „Wenn die Kunden älter geworden sind, kommen sogar die Kinder und holen eine Auswahl ab. Oder ich fahre eben zu den Kunden hin, kein Problem!“

Gestern Abend sei sie noch bei einer Kundin zu Hause gewesen. „Und heute Abend bringe ich die Hosen noch weg. Wissen Sie, wenn die Kunden so unheimlich abgenommen haben, brauchen sie halt neue Hosen! Und wissen Sie, wie oft ich sehe, was die Leute für Hosen anhaben – schlimm! Ich seh‘ sofort, wenn die etwas anhaben, das nicht sitzt!“, lacht Emmerich und fügt leicht scherzend ein „schrecklich!“ hinzu. Mein Mann sagt immer: „Was Du alles siehst…“

„Apropos Mann“, sage ich, „wie ist der denn so?“ „Toll!“, sagt Emmerich. Neben toll ist er auch ehemaliger Berufsoffizier. „Mir zuliebe hat er nie Wert darauf gelegt, groß Karriere zu machen. Er war Major, das ist auch schon was, aber ich muss Ihnen sagen: Der wäre sicher mehr geworden, wenn er bereit gewesen wäre umzuziehen, aber das ging nicht. Ich war nicht bereit, mitzuziehen“, so Emmerich lachend.

Sie hatte ihrem Mann von Anfang an gesagt, wie es aussieht. „Und er hat das akzeptiert“, erzählt sie gelassen. „Wir verstehen uns prima, wunderbar ist das, Gott sei Dank!“ Ihr Mann unterstütze sie noch heute und fahre abends mit ihr gemeinsam die Sachen weg, beispielsweise zu Kundinnen. „Dass mein Mann mit mir raus fährt, das ist schon prima, wunderbar ist das“, sagt Emmerich.

„DIE FRAUEN HABEN‘S ÜBERALL NOCH SCHWER“



„Was machen Sie privat gerne?“ „Fahrradfahren!“ so Emmerich schnell. Sportlich und beweglich sei sie immer schon gewesen. Als junge Frau beispielsweise habe sie Leichtathletik gemacht. „Kugeln, Diskus, Speer“, sagt sie. „Da war ich ganz gut und nahm an Wettkämpfen teil.“ „Haben Sie auch einen Meisterinnen-Titel?“ „Nee…sagen Sie es nicht, das möchte ich nicht“, sagt Emmerich und winkt ab, um bescheiden zu ergänzen: „Ich war nicht schlecht, ja“ – Punkt. „Später hab ich Tennis gespielt – sehr gerne! Als ich in der Lehre war, habe ich morgens mit einer Bekannten um 6 Uhr gespielt. Dann geduscht, gefrühstückt und dann bin ich mit dem Fahrrad nach Krefeld gefahren.“

Das Tennisspielen setzte sie nach der Hochzeit kurzweilig aus, wollte aber doch nicht ganz darauf verzichten. „So“ sagte Emmerich damals zu ihrem Mann. „Ich will wieder Tennis spielen. Entweder Du spielst mit oder ich spiel‘ alleine.“ Der Mann spielte mit, und beide wurden passionierte Tennisspieler. Emmerich wurde zudem oft Clubmeisterin und habe auch gegen andere Vereine gewonnen. Die Aktivität blieb bis zu einem verhängnisvollen Sturz. „Dann klappte das nicht mehr, das war schlimm“, erinnert sie sich. Die Liebe zum Tennis ist jedoch geblieben. „Zverev hat leider verloren gestern“, sagt Emmerich und erinnert sich an früher. „Da bin ich immer zu den Turnieren nach Düsseldorf gefahren.“ Alle Weltgrößen habe sie da gesehen. „Man fiebert jedem Ball entgegen“.

Auch das Fahrradfahren hat sie ihr ganzes Leben begleitet. Ihre Lieblingsstrecke? „Am Rhein vorbei in Richtung Kaiserswerth!“ „Haben Sie ein E-Bike?“, möchte ich wissen. “Nein!“, so Emmerich, „das schaff ich mir mal an, wenn ich älter bin. Ich möchte noch was tun!“ Das Paar fährt täglich begeistert Fahrrad. „Manchmal schon morgens früh und am Wochenende sowieso immer“, freut sich Emmerich. Auch der Winter stelle kein Hindernis für sie dar. „Handschuhe an, Mütze auf!“, sei die Devise. Zudem sei sie sehr gern im Tennisclub unterwegs oder im Stadtparkrestaurant. „Da sitzt man traumhaft mit Blick auf den Weiher, da freu‘ ich mich jetzt schon drauf! Da müssen Sie mal hingehen!“

Müsste sie Uerdingen jemandem zeigen, der nicht von hier ist, ginge es zuallererst zum Rhein und daraufhin zum Stadtpark. „Dort gibt es einen traumhaft schönen Kinderspielplatz. Der ist märchenhaft schön und fantastisch bei schönem Wetter! Marc Grotendorst, der macht das auch traumhaft und ist ein ganz Netter! Der ist toll. Der kommt auch öfter zu uns in den Club“, erzählt Emmerich, und sagt dann: „Hier, trinken Sie mal einen Schluck!“

„Sie sind bekannt in Uerdingen, oder?“, möchte ich wissen. „Ja, und ob!“, ruft Emmerich aus. „Und wie ist das so, wenn Sie einkaufen gehen?“ „Wenn ich einkaufen gehe?“ fragt Emmerich irritiert, um dann zu ergänzen: „Ich habe ja alles im Geschäft!“ „Lebensmittel?“, frage ich. „Das macht mein Mann alles. Ich kaufe nur Süßigkeiten. Ich liebe Süß!“, gesteht sie und erzählt bis das Telefon klingelt von einer Schublade, die stets gut gefüllt sei. „Modehaus Emmerich? Bitte? Haste was gehört? Wie viel ham wir, 190? Um Jottes Willen! Ja, schrecklich! Hör mal hier – ich ruf gleich zurück, ja? Ok, alles klar, Tschühüss!“

Zu ihren Kundinnen pflegt Emmerich ein enges Verhältnis. Die meisten rufen auch an und fragen, wie es ihr in der aktuellen Situation geht. „Ich kenne meine Kunden auch und rufe an, wenn ich etwas Schönes für sie habe“, so Emmerich und ergänzt fast wehmütig: „Früher wurde gekauft, für Hochzeiten, Abiturfeiern und was nicht alles. Das fällt alles weg, deswegen ist der Laden auch so voll. Ich hoffe, es geht bald wieder.“ Denn aufhören möchte sie noch lange nicht. „Ich kenne niemanden, der das so macht wie ich. Wenn Vertreter*innen hierher kommen, sind die immer erstaunt: ‚Was sind Sie, 60 Jahre selbstständig? Das habe ich noch nie gehört‘“, erzählt die 82-Jährige dann. In ihrem Freundeskreis ist sie die einzige selbstständige und – noch arbeitende – Frau. „Die sagen alle zu mir: ‚Willst Du nicht mal bald Schluss machen?‘ Aber warum sollte ich? Wem geht’s besser?‘, frage ich dann. Denn viele kommen im Rollator und ich bin fit. Wer rastet, rostet!“

Mit Rückblick auf ihr Leben würde sie alles wieder genau so machen. „Ich finde, mein Beruf ist einfach wunderbar. Sonst würde ich das ja heute nicht mehr machen. Ich habe gerne Kontakt zu den Leuten“, erzählt sie. „Ich könnte nie morgens aufstehen und gleich den Kasten anmachen – fürchterlich! Das ist nicht meine Welt!“ Einen Tipp würde sie Frauen geben: „Lernen! Etwas lernen ist ganz wichtig! Und selbst wenn man heiratet und Kinder bekommt, kann man vielleicht immer noch was nebenbei machen.“ Es scheint eine generationenübergreifende Thematik zu sein.

„Trinken Sie mal noch ein Schlücksken!“, sagt Emmerich und nickt in Richtung Schweppes.

Als ich kurze Zeit später meinen Mantel anziehe, schaut sie genau hin und sagt anerkennend: „Das machen Sie aber raffiniert mit dem Schal. Das habe ich noch nie gesehen.“

Textil Emmerich GmbH
Bekleidungsgeschäft
Traarer Straße 72, 47829 Krefeld

Telefon 02151 – 43159

Öffnungszeiten:

Mo.–Fr. 9:30–13 Uhr, 15–18 Uhr

Samstag 9:30–13 Uhr

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