UERDINGER GESCHICHTE(N)
MIT DER STRAßENBAHN IN DIE ZUKUNKT

MIT DER STRAßENBAHN IN DIE ZUKUNKT
Damals, in den 70er und 80er Jahren des 19. Jahrhunderts begegneten sich Krefelder*innen und Uerdinger*innen noch auf Augenhöhe. Obwohl „Crefeld“ rund zehnmal so viele Einwohner*innen hatte. Wie sonst ist es zu erklären, dass sich die erste Gesellschaft, die sich mit dem öffentlichen Personennahverkehr auf dem heutigen Stadtgebiet beschäftigte, „Crefeld-Uerdinger Localbahn AG“ nannte? Die ab 1883 auch Strecken nach Hüls und Fischeln unterhielt. Vielleicht weil in der Aktiengesellschaft auch viel Geld von Uerdinger Geschäftsleuten steckte? Der Betrieb der Bahnen sollte Gewinne bringen. Sicherlich war es auch ein Prestigeobjekt. Mit einer Straßenbahn gehörte man zu den wahrhaft modernen Großstädten im deutschen Reich.
Entsprechend lange konnten die Uerdinger Stadtverordneten die speziellen Uerdinger Interessen durchsetzen: dass es auf der Strecke nach Uerdingen drei Wagenklassen gab, beispielsweise. Erst im Jahr 1900 ließ man sich überzeugen, auf die Waggons der 1. und 2. Klasse zu verzichten, sie waren meist leer – im Gegensatz zur überfüllten 3. Klasse. Wobei die heftigen, in der Lokalpresse abgedruckten Leserbriefe, sicherlich ebenfalls gewirkt haben werden. Dass die letzte Fahrt ab Krefeld um 23 Uhr geht, ließ sich hingegen nicht durchsetzen, es gab schlicht keinen Bedarf. Das war bei der letzten Bahn, die um 22.30 Uhr nach Uerdingen ging, nicht viel anders, aber man hatte vertragliche Zusicherungen und auf diese bestand man auch.
Die Firma ließ Gleise bauen, die Strecke bis Uerdingen verlief schon damals so wie heute. Lediglich der Uerdinger Markt wird nicht mehr wie früher angefahren. An dem befand sich die Endhaltestelle. Hier kreuzte die Straßenbahn aus Krefeld eine Linie der Rheinbahn, die von Düsseldorf nach Moers führte. Die ging über die Ober- und Niederstraße, über den Bahnübergang „Am Berg“ zur Duisburger Straße und von dort weiter nach Moers. Seit 1930 bogen die Straßenbahnen aus Krefeld als Linie 1 und 2 vor der Kurfürstenstraße ab und fuhren bis 1964 über den Bahnhof hinaus weiter bis zur Kirche in Hohenbudberg.
Die Gesellschaft schaffte Pferde an, die die Pferdebahn im Schritttempo durch Neußer – und Hochstraße zogen. Das war insofern wirtschaftlich, als die Eisenräder auf den Schienen weniger Rollwiderstand hatten; zwei Pferde bewegten in der Pferdebahn ein Vielfaches der Menschen, die sonst in einer Droschke saßen. Nach Uerdingen, Fischeln und Hüls zog eine Dampflok die Wagen, was eine geringfügig höhere Geschwindigkeit erlaubte und deutlich mehr Fahrgäste. Allerdings stießen die Dampfloks auf wenig Gegenliebe bei den Anwohner*innen: Sie regten sich über den Lärm auf, den die Züge verursachten, den Dampf und den Ruß.
Obwohl die Preise im Verhältnis zu den Verdienstmöglichkeiten verhältnismäßig hoch waren (für eine Fahrt von Krefeld nach Uerdingen musste ein/e Arbeiter*in ein bis vier Stunden arbeiten) zählte man schon im Jahr 1885 auf der Strecke Crefeld – Uerdingen mehr als 571 Tausend Fahrgäste – zwei Jahre zuvor musste man die Strecken zu Fuß oder in einer Droschke bewältigen, was noch bis ins 20. Jahrhundert hinein die einzigen Alternativen bleiben sollten. Im Jahr 1900 waren es bereits mehr als 810 Tausend Fahrgäste. Die Leute fuhren zur Arbeit in die Fabriken, Bauern brachten ihre Waren darin zum Markt. Allerdings waren die Ticketpreise auch damals schon ein ständig wiederkehrendes Thema in den Versammlungen der Stadtverordneten und Gegenstand der Verhandlungen mit der Betreibergesellschaft. Die Uerdinger*innen konnten durchsetzen, dass die Fahrt in ihre Stadt nicht mehr als 40 Pfennige kosten durfte. Schüler*innen bekamen Ermäßigungen.
Die Börsennotierungen für die AG waren zufriedenstellend, das Eisenbahngeschäft schien zukunftsträchtig und so wurde 1898 in Uerdingen die Waggonfabrik gegründet. Die lieferte schon bald einen legendären Sommerwagen, im Volksmund „Vogelkäukes“ genannt. Der war so luftig, dass selbst in Zeiten der Erderwärmung eine Klimaanlage überflüssig wäre. Allerdings waren bis ins 20. Jahrhundert hinein die Heizungen so schlecht, dass es in den Wagen nicht mehr als 10 bis 13 Grad „warm“ wurde. Der Grund: Sie stießen das lebensgefährliche Kohlenoxyd aus und durften nicht auf voller Stufe brennen.
Zu diesem Zeitpunkt ließ sich sicher vorhersehen, dass sich das Straßenbahngeschäft rasant weiter entwickeln würde: Werner Siemens hatte bereits 1879 einen Elektromotor vorgestellt, der Bahnen ziehen konnte. Das bot gegenüber dem Dampfantrieb sagenhafte Vorteile: Kein Dampf, kein Ruß, weniger Lärm, aber auch – durch die Möglichkeit schneller zu bremsen – mehr Sicherheit!
Wobei: In einer Ausgabe der Uerdinger Rundschau aus dem Jahr 2013 haben Rosemarie und Dieter Rehbein viele Geschichten zusammengetragen, die von einer Sicherheitslage erzählen, die uns heute unvorstellbar erscheint. Auf- und Abspringen während der Fahrt waren gang und gäbe. Verletzte sich jemand, wurde er/sie eingeladen und ins Krankenhaus mitgenommen. Scheute ein Pferd wegen des „Dampfungethüms“ und es kam zum Zusammenstoß, verlief der meist glimpflich. Zwar berichtete die Zeitung bisweilen von Damen, die bei solchen Gelegenheiten aus der Kutsche geschleudert wurden. Meist kamen sie jedoch mit dem Schrecken, Schmutz auf der Kleidung oder leichten Verletzungen davon. Gerichte befanden „die Unternehmer von Dampfstraßenbahnen für Unfälle haftbar, die durch das Scheuwerden von Pferden“ entstanden.
Die Aussicht auf die Umstellung auf elektrische Straßenbahnen ließen die Aktien der Gesellschaft an der Berliner Börse steigen, von 86 im Jahr 1893 auf 139. Sie brachte einen weiteren wichtigen Nebeneffekt: Die Straßenbahngesellschaft wäre die Erste, die kontinuierlich große Mengen Strom abnehmen und somit die Rentabilität des geplanten Elektrizitätswerks garantieren würde, wovon auch die Haushalte profitierten. Ab 1900 wurden Crefelds Straßenlinien elektrifiziert, die Strecke nach Uerdingen war die letzte. Das lag nicht an etwaiger Geringschätzung der Rheinstadt, es lang an der Staatsbahn. Die fuhr damals noch ebenerdig und die Straßenbahnschienen durften deren Gleise eigentlich nicht kreuzen. Es dauerte lange, bis der Bahnübergang an der Alten Krefelder Straße genehmigt wurde. Die Schienen der Straßenbahn wurden unterbrochen und die Straßenbahnen mussten das Hindernis mit Schwung überwinden, wobei der Waggon gewaltig rumpelte.
Das Schienennetz aus der Pferde- und Dampf-Ära konnte auch von den elektrischen Straßenbahnen genutzt werden. Die Errichtung der Masten für die Oberleitung stieß jedoch bei vielen auf Abneigung, man wollte sich die Sicht nach oben nicht einengen lassen.
In den Jahren 1901 bis 1911 erweiterten die Crefelder Straßenbahnen ihre Strecke um 120 Prozent was einen Zuwachs an Fahrgästen von 165 Prozent mit sich brachte. In dieser Zeit bekamen die Führerstände auch eine Verglasung, was für die Fahrer eine wesentliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen brachte. 1914 ging eine Linie an den Linner Hafen in Betrieb, der Bedarf an Arbeiter*innen war entsprechend groß.
Im zweiten Weltkrieg wurde die Straßenbahn auch für den Gütertransport genutzt. Davon haben wir bereits in dem Beitrag zum Bunkerbau berichtet. Weil das Material dazu mit der Straßenbahn transportiert wurde, konnten die dafür vorgesehenen Kraftstoffkontingente getauscht werden und Krefeld wie Uerdingen hatte überdurchschnittlich viele Hochbunker zum Schutz der Menschen vor den tödlichen Bomben. Wichtig war auch der Transport von Kohle für dass Elektrizitätswerk – damit fuhren die Straßenbahnen viel länger als Omnibusse, die Treibstoff brauchten.
Bereits Ende Januar 1946 fuhren die Straßenbahnen wieder. 30 Millionen Fahrgäste beförderte die KREVAG im Jahr 1947 (auch in Bussen), im Güterverkehr wurden fast 36 Tausend Tonnen bewegt. Die Fahrzeuge legten 3,8 Millionen Kilometer zurück. In der Not wurde sogar der Sommerwagen, das Vogelkäukes aus dem vorigen Jahrhundert wieder – umgebaut – in Betrieb genommen. Es war die absolute Hochzeit der Straßenbahnen.
In den 1950-er Jahren wurde der Autoverkehr stärker, der Bestand an Motorfahrzeugen verdreifachte sich bis 1957. Erstmals fuhr die KREVAG mit den Straßenbahnen Verluste ein. Darüber hinaus sahen viele in ihnen ein Verkehrshindernis, weil sie an ihre Schienen gebunden waren. Die Krefelder Straßen seien nicht breit genug für Autos und Straßenbahnen. Es gab ein Gutachten zur kompletten Umstellung auf Omnibusverkehr, schließlich wurden 39,5 der 82,7 Kilometer Streckenlänge aufgegeben, Uerdingen ist davon nicht betroffen.
Quelle: „Gut, dass wir sie haben“ 100 Jahre elektrische Straßenbahn in Krefeld“, Gisbert Arts, Gabriele Franken, Wolfgang Herbrandt, Ernst-Moritz Müller, Hrsg Städtische Werke Krefeld AG, Krefeld 2000, Niederrhein-Verlag
Mitteilungen des Uerdinger Heimatbundes e.V. Uerdinger Rundschau, Dampfstraßenbahnzug der Crefeld-Uerdinger Localbahn, 130 Jahre fahrplanmäßiger Straßenbahnverkehr auf der Linie Krefeld-Uerdingen Sonderausgabe 05.11.2013, zusammengestellt von Dieter und Rose
Text: Susanne Böhling
Fotos: Archiv Horst Peterburs




