ADIPOSITAS-ZENTRUM

GEMEINSAM AUF DEM WEG ZUM WUNSCHGEWICHT

Bei einem Besuch im Adipositas-Zentrum am Helios St. Josefshospital Uerdingen lernt man in René Carolus, dem Ärztlichen Leiter, einen höchst empathischen und humorvollen Arzt kennen, der von seiner Aufgabe begeistert ist. Obwohl er wissenschaftlich tief in die Materie eingetaucht ist, alle Studien und Stoffwechselzusammenhänge kennt, spricht er so, dass man ihn versteht.

Ein paar Rezepte für gesundes Essen hat er parat und auch nichts gegen einen Gänsebraten zu Weihnachten. „Zu einem festlichen Anlass ist das doch was Feines“, sagt René Carolus. Er ist der leitende Arzt für Adipositas und metabolische Therapie und behandelt Patient:innen, die unter krankhaftem Übergewicht leiden. „Im Gänsebraten steckt viel Eiweiß“, fährt er fort. „Zu Weihnachten laden wir immer meinen Schwager ein, der bringt eine Gans aus Freilandhaltung mit und zaubert einen hervorragenden Braten. Meine Frau ist Veganerin, von ihr kann ich so etwas nicht erwarten.“

Veganismus als Ernährungsweise sei aber kein Garant für Gesundheit und kein Mittel gegen Adipositas: „Wenn Sie ein veganes Schnitzel essen, bei dem sich die Panade beim Braten voller Öl gesaugt hat, ist das auch nicht gut.“ Dann bremst er sich, denn Ernährung ist zwar eines der Themen, für die er brennt, aber zuerst zeigt er stolz die neuen Räume, über die das Adipositas-Zentrum seit seinem Umzug vom Lutherplatz in der Innenstadt nach Uerdingen verfügt. „Bei uns ist alles etwas größer.“ Das fängt schon bei den Türen an, geht weiter mit den Bemessungen der Räume und hört bei den Stühlen, deren Belastungsgrenze ebenfalls jenseits der Standard-Norm liegt, nicht auf.

Auch „Big John“ gehört dazu, extra aus den USA importiert, eine Toilette für sehr schwere Menschen. „Die Patient:innen sollen sich wohlfühlen“, das ist Carolus besonders wichtig. Bereits als junger Arzt war er in einem Adipositas-Zentrum tätig und weiß aus langjähriger Erfahrung, wie Menschen unter dieser Erkrankung leiden.

„Viele müssen sich ständig anhören, dass sie undiszipliniert und faul sind.“ Er schüttelt den Kopf. „Dabei ist das absoluter Quatsch! Ab einem BMI (Body-Mass-Index) von 30 spricht die Weltgesundheitsorganisation (WHO) von Adipositas Grad I, einer chronischen Erkrankung. Den Betroffenen muss man helfen und sie nicht verurteilen.“ Im Adipositas-Zentrum Uerdingen ist genau dies das Credo des gesamten Teams.

Wenige Wochen nach dem Erstkontakt folgt schon der Termin für ein erstes Gespräch. Zehn Gespräche finden hier pro Woche statt. „Oft fließen dabei Tränen, wenn der Patient endlich seine Verteidigungshaltung aufgeben kann und weiß, dass er sich nicht zu schämen braucht“, berichtet der 53-jährige Mediziner. Wichtig sei, gemeinsam ein Ziel zu vereinbaren und zu versichern: „Du bist nicht allein, wir sind bei Dir und helfen Dir, es zu erreichen. Und wir wissen, dass Du es kannst.“ Käme ein Mensch mit einer Größe von 1,70 Metern und 170 Kilogramm Gewicht, vereinbare man ein Zielgewicht von unter 90 Kilogramm.

Im Adipositas-Zentrum steht sogar ein Teller mit Adventssüßigkeiten auf der Theke, an dem sich die Mitarbeiter bedienen. Darauf angesprochen, sieht René Carolus kein Problem: „Solange der Mensch entscheidet, was er isst, nicht sein Bauch ihn leitet und der BMI im Rahmen bleibt, kann auch mal genascht werden.“ Er selbst hat jedoch ein Porridge zum Frühstück dabei, mit Hafermilch, Früchten und Fruchtsaft. Sein Rat: „Wir müssen vielfältig essen und bunt.“

Individuelle, ganzheitliche und zielorientierte Betreuung

Dann geht es um die Behandlungsmethoden. Für die erste Stufe, Adipositas I, empfiehlt die 2018 verfasste Leitlinie eine konservative Behandlung. Die Patient:innen werden in einem 3-Stufen-Plan behandelt. Sie bekommen eine qualifizierte Ernährungsberatung über einen Zeitraum von sechs Monaten. Unsere Lebensweise verführt uns zu ungesundem Essen und begünstigt die Krankheit. „Früher mussten wir dem Essen nachlaufen. Heute drängt es sich an jeder Ecke und aus einem vollen Kühlschrank jederzeit auf“, so Carolus. „Und oft greifen wir zu, auch wenn wir gar keinen Hunger haben und keine Nahrungsenergie brauchen.“ Für einen gemeinsamen Überblick notieren seine Patient:innen in einem Ernährungsprotokoll, was und wann sie essen. Anschließend werden mit Hilfe eines mentalen Coachings die Gründe für das eigene Essverhalten bestimmt. Das übernimmt entweder die Ernährungswissenschaftler:in, die auch schon die Ernährungsberatung durchgeführt hat, oder ein:e Psycholog:in. Dabei sollen Betroffene herausfinden, wann und warum sie falsch essen, was es ihnen bringt, falsch zu essen. „Wenn sie verstanden haben, warum sie so ein großes Bedürfnis nach Süßem haben, lässt sich der Heißhunger nach und nach immer besser kontrollieren.“

Stufe drei nimmt die sportlichen Aktivitäten in den Fokus. „120 Minuten Kraft-Ausdauer-Sport jede Woche“, nennt Carolus die Mindestanforderung. Auch dabei bekommen die Patient:innen Unterstützung. Sowohl von den im Haus tätigen (Sport-)Physiotherapeuten des Kooperationspartners fysioconcept, als auch weiteren Partnern am gesamten Niederrhein. Auch das ist ein Ausgleich für den modernen Lebenswandel‘. „Früher, vor 1910, sind die Menschen in Deutschland im Durchschnitt 20 Kilometer am Tag gelaufen.“ Eine Zahl, die unvorstellbar ist für Menschen, die sich von einer Smartwatch am Handgelenk antreiben lassen müssen, um auf täglich 10.000 Schritte zu kommen. „Heute laufen wir im Durchschnitt ganze 400 Meter“, sagt Carolus. Neben Ausdauer ist auch ein Krafttraining nicht außer Acht zu lassen. „Wer mehr Muskeln hat, profitiert von einem Nachbrenneffekt“, erklärt er. Dann verbrennt der Körper auch nachts, im Ruhemodus, noch Energie. Ein durchtrainierter Ringer oder Gewichtheber könne täglich mehrere Teller Nudeln essen, ohne adipös zu werden.

 

Was könnte dazu beitragen, dass
weniger Menschen adipös werden?

 

Am liebsten wäre ihm, die Vorbeugung gegen Adipositas würde viel früher beginnen. „Sport als Hauptfach in den Schulen!“ lautet eine seiner Forderungen. „Gesundes Essen in den Schulmensen“ eine weitere. Denkbar wäre auch ein Kochunterricht, damit die Kinder lernen, sich selbst gesunde und schmackhafte Nahrung zuzubereiten und zusätzliche Einblicke und Inspirationen bekommen.

 

Eine Schallgrenze: Der BMI von 35 –
Nebenerkrankungen und deutlich weniger Lebenszeit

Ab einem BMI von 35 treten häufig Nebenerkrankungen auf. Dazu gehören Bluthochdruck, Diabetes oder Zysten an den Eierstöcken, die zu einer Unfruchtbarkeit führen können. Mit zunehmendem Übergewicht steigt auch das Risiko für Krebserkrankungen. Sehr gute wissenschaftliche Belege gibt es für den Brustkrebs, den Darmkrebs und den Bauspeicheldrüsenkrebs. Viele Patient:innen leiden gleichzeitig unter dem Schlafapnoe- Syndrom (SAS). „Diese Patienten sind dann auch tagsüber oft müde, weil sie nachts nicht gut schlafen. Und sie bewegen sich noch weniger.“ – ein Teufelskreis.

Ab einem BMI von 35 mit Nebenerkrankungen ist nach der deutschen Leitlinie eine Operation die empfohlene Adipositas-Therapie. „Sie ist dann oft das einzige Mittel, um aus dieser Spirale auszubrechen“, so René Carolus. Doch auch hier wird der Patient:in unbedingt mit Ernährungsberatung und einem Sportangebot vorbereitet. „Damit sinkt die Gefahr von möglichen Komplikationen.“ OP, Sport und Ernährung haben bei der Erreichung des anfangs festgelegten Ziels jeweils einen Anteil von einem Drittel. Wie wichtig es ist, den Kampf gegen die Krankheit aufzunehmen, zeigt eine schlichte Zahl: Ein BMI von 40 bis 45 verkürzt die Lebenserwartung um durchschnittlich sieben Jahre (In einer Leitlinien-Studie, die ich im Internet einsehen kann, ist von 10 Jahren die Rede – bei einem BMI von 55 sind es im Durchschnitt sogar 15 Jahre). Oft kommen die Patienten aber erst mit einem BMI von 50 und dann aus ganz alltäglichen Gründen, wenn der Leidensdruck hoch ist.„Etwa wenn sich Betroffene die Schuhe nicht mehr zu machen oder mit den Enkeln spielen können“, berichtet er.

Am Helios St. Josefshospital Uerdingen werden, um krankhaft adipösen Patienten wieder zu einem gesünderen und aktiven Leben zu verhelfen, ca. 200 Operationen im Jahr durchgeführt. Drei unterschiedliche Operations- Methoden sorgen dafür, dass das Volumen des Magens verkleinert und der Dünndarm um circa ein Drittel verkürzt wird. Denn: Mit einem kleineren Magen kann man deutlich weniger essen und ist früher satt. Ein kürzerer Dünndarm kann nur noch auf ungefähr drei bis vier anstatt auf sechs oder sieben Metern Länge die Nährstoffe ins Blut aufnehmen. Das gilt für dickmachende Fette und Kohlenhydrate, aber auch für lebenswichtige Vitamine. „Diese müssen nach der OP dauerhaft durch Vitaminpräparate und Calcium ergänzt werden. Sie sind natürlich ganz anders dosiert, als dass, was man normalerweise in der Apotheke bekommt,“ so Carolus. In Uerdingen wird jedes Jahr kontrolliert, ob die Versorgung auch wirklich ausreicht. „Wir lassen die Patienten damit nicht allein. Welches OP-Verfahren zur Anwendung kommt, entscheiden wir gemeinsam und ganz individuell auf den Patienten angepasst. Eine Rolle spielen dabei auch Vorerkrankungen wie Diabetes mellitus oder eine Refluxerkrankung mit Sodbrennen.“ Nach dem Eingriff wird der Sport intensiviert, auch hier oft bei den schon bekannten Kooperationspartnern, die spezielle Gruppen bilden. Und dann purzeln die Kilos; die Patient:innen verlieren rapide an Gewicht.

„Das ist, als würde ein Schalter umgelegt“

berichtet Carolus von seinen Beobachtungen. Die Menschen sind wieder Herr über ihre Nahrungsaufnahme. Ein Patient habe das mal so beschrieben: ‚Wenn ich früher auf die Rheinkirmes kam und der Duft der gebratenen Champignons in meine Nase stieg, konnte ich nicht anders, ich musste sie essen. Das ging mit den gebrannten Mandeln weiter und am Ende des Abends hatte ich an mindestens fünf Ständen zugeschlagen. Heute genieße ich den Geruch, kann aber an dem Stand vorbeigehen.‘ „Ziel erreicht“, resümiert Carolus. Und der Nebeneffekt: „Wenn wir beispielsweise eine Familienmutter betreuen, dann verändert sich sehr häufig auch das Essverhalten der ganzen Familie, einschließlich dem der Kinder, positiv.“

 

Text: Susanne Böhling

Fotos: Helios, Tobias Ritter 

Marita Börst und Kevin Waller
Montag, Mittwoch und Freitag von 8 Uhr bis 16 Uhr,
Dienstag und Donnerstag von 8 Uhr bis 18 Uhr
Rufnummer: 02151 452-7270
adipositas.krefeld@helios-gesundheit.de

RENÉ CAROLUS REZEPT FÜR
LINSEN-BOLOGNESE MIT ZUCCHINI-NUDELN

• Kleingehackte Schalotten und Knoblauch andünsten, wenn sie glasig sind, die Linsen dazu geben und mit Rot- oder Weißwein ablöschen.
• Kleingeschnittenes Gemüse, Paprika, Möhren, Tomatenmark
dazu geben und weichkochen. Mit Kräutern abschmecken.
• Zucchini in lange, schmale Streifen schneiden (am besten
mit einem Julienneschneider), kurz in Olivenöl andünsten und abschmecken.
• Beides zusammen servieren.

René Carolus’ Empfehlung für eine gesunde Ernährung:

• Zwei Liter Wasser pro Tag

• Fünf Hände voll Obst und Gemüse, möglichst bunt. Bunt, wegen der sekundären Pflanzenstoffe, die sich hinter den verschiedenen Farben im Obst, Gemüse und Salat verbergen. Diese haben im Stoffwechsel eine wichtige Bedeutung als Koenzyme und Antioxidantien. Sie dienen somit dem Zellschutz und der Aktivierung von aufgenommenen Vitaminen. Aus diesem Grund ist auch eine ausschließliche isolierte, d.h. künstliche Aufnahme von Vitaminen nur über Nahrungsergänzungsmittel nicht zu empfehlen, weil darin keine sekundären Pflanzenstoffe enthalten sind.

• Eine Hand voll Nüsse täglich, Walnüsse, Haselnüsse, Paranüsse, Peca- und Macadamianüsse. Aber Vorsicht: Erdnüsse gehören nicht dazu! Sie heißen zwar Nüsse, sind aber eigentlich keine.

• Einmal pro Woche Linsen. Leguminosen – Erbsen, Linsen, Bohnen – sind wertvolle pflanzliche Eiweißlieferanten, Linsen enthalten zudem wertvolles Eisen.

• Beispielhaft sei die mediterrane Küche Italiens oder Griechenlands. „Aber nicht die Pizza aus der Kühltruhe. Faserreich, wenig Fleisch, häufig Fisch, gesundes Öl wie Oliven-, Walnuss- oder Leinöl. Zum Braten Rapsöl.

• Im Winter empfiehlt er Vitamin D als Nahrungsergänzung, weil der Körper dies mangels Sonneneinstrahlung nicht selbst bilden kann. Ein Mangel kann zu Osteoprorose führen und die Immunabwehr herabsetzen.

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