UERDINGER GESCHICHTE(N)
IN UERDINGEN AUF DIE SCHIENE GESETZT
Die Uerdinger Geschäftsleute hatten schon immer die Nase im Wind. Deswegen setzten sie auf das Thema Verkehr und investierten maßgeblich in Gründung und Betrieb der Crefeld-Uerdinger Localbahn AG, dem ersten öffentlichen Nahverkehrsmittel der beiden Städte.
Schon zwei Jahre nach der Gründung im Jahr 1883 verzeichneten sie 571.000– und das, obwohl die Preise im Vergleich zu heute horrend waren: ein Arbeiter musste für eine Fahrt von Uerdingen nach Krefeld ein bis vier Stunden arbeiten. Die Zahl der Fahrgäste stieg ständig.
Damit stieg auch der Bedarf an Waggons und so gründeten die Uerdinger Geschäftsleute 1898 die Waggon-Fabrik AG Uerdingen. Franz Schwengers, Inhaber der Firma Schwengers & Söhne war mit von der Partie, genau wie Julius Weiler. Der stammte aus Köln, hatte dort eine Chemiefabrik und 1896 mit seinem größten Kunden, der Uerdinger Teerfarbenfabrik Dr. E. ter Meer & Cie zur Chemische Fabriken, vorm. Weiler-ter Meer fusioniert. Außerdem dabei war Friedrich Mauritz, ein Uerdinger Kaufmann. Somit waren drei der sieben Gründungsmitglieder aus der Rheinstadt. Anfangs (bis 1900) stellte Schwengers Teile seiner Büroräume zur Verfügung und war zudem stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender.
Auch die Werksanlagen wurden in Uerdingen gebaut, bereits auf dem Gelände, auf dem sich heute der Uerdinger Standort der Siemens Mobility GmbH befindet. Direkt daneben, an der Topsstarße entstanden Werkswohnungen, die inzwischen verkauft wurden. Entscheidend für die Auswahl des Standorts war sicher zum einen die verfügbare Fläche am Rande der Stadt, aber auch die gute Infrastruktur sowie die Nähe zum Rhein und zum Hafen, was die Versorgung mit Rohstoffen erleichterte.
Leider waren die Uerdinger nicht die ersten, die auf die Idee kamen, Waggons für den Schienenverkehr zu bauen. Sie gründeten in einer Zeit wirtschaftlichen Aufschwungs, in der die Preise für Baustoffe, Maschinen und Anlagen stiegen, was die Kalkulation gehörig durcheinanderbrachte. Im anschließenden Konjunktureinbruch konnten andere Werke, die früher gegründet wurden, von der vorhergehenden Hochkonjunktur zehren, die Uerdinger mussten kämpfen.
Doch schon im Jahr 1899 konnte man aufatmen. Die preußische Staatsbahn erteilte einen Probeauftrag über 186 unterschiedliche Waggons, die innerhalb eines Jahres fertiggestellt wurden. Uerdingen lieferte ins Ruhrgebiet und nach Norddeutschland. Die Schwerindustrie im Ruhrgebiet bestellte darüber hinaus Güterwagen, exportiert wurde nach Luxemburg, Italien, Indien, London und die Niederlande.
Legendär war der hier gebaute Sommerwagen, im Volksmund „Vogelkäukes“ genannt. Der war so luftig, dass selbst in Zeiten der Erderwärmung eine Klimaanlage überflüssig wäre, der auch in Köln zum Einsatz kam – und wahrscheinlich außerordentlich günstig war, da man dafür nur wenig Material verbauen musste.
Einen Rückschlag erfuhr das Werk durch einen Brand im Jahr 1904, der die Holzwerkstätten vernichtete. Da Holz damals der wichtigste Baustoff war, konnten keine weiteren Waggons mehr ausgeliefert werden, weswegen auch kein Geld mehr hereinkam. Die Aktionäre mussten auf ihre Dividende verzichten, um den Wiederaufbau zu finanzieren, in Forschung und Entwicklung zu investieren. Damit gelang es, bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs jährlich 800 Waggons zu bauen. Dann konnten nur noch solche Arbeiten ausgeführt werden, die dem Krieg dienten. Entwicklungsarbeiten wurden eingestellt.
Bereits direkt nach Kriegsende, als sich die Wirtschaft nur sehr langsam erholte, beauftragten die Uerdinger Wilhelm Mohr als renommierten Architekten und Innenarchitekten mit der Gestaltung der Innenausstattung der Straßenbahnen. Und als man es sich 1920 leisten konnte, investierte man in eine Werksfeuerwehr, denn Holz war als wichtiger Baustoff noch lange nicht abgelöst. 1300 Mitarbeiter produzierten ab 1921 Bahnen für die Vestische Eisenbahn (Recklinghausen, heute Emscher-Lippe-Region) sowie die Rheinische Bahngesellschaft, die spätere Rheinbahn. 3000 Wagen verließen pro Jahr das Werk. Das waren in erster Linie Güterwagen und die ersten D-Zug Einheitswagen der dritten Wagenklasse, deren Wagenkasten schon aus genietetem Stahl bestand.
Um dem Einkaufsmonopol der Deutschen Reichsbahn auf Augenhöhe begegnen zu können schlossen sich die Uerdinger in den frühen 1920er Jahren mit anderen Waggonfabriken aus Heidelberg, Düsseldorf, Siegen, Dessau und Kassel zusammen. Es war die größte Liefergemeinschaft im Reichsgebiet, die jährlich 18000 bis 20000 Fahrzeuge auslieferte. Doch schon 1926 entwickelte die Reichsbahn als Antwort darauf einen eigenen Vergabeplan für Aufträge.
Die Ruhrbesetzung mit der völligen Unterbindung des Bahnverkehrs setzte der Uerdinger Waggonfabrik ebenfalls zu. Material konnte nicht an-, Waggons nicht ausgeliefert werden und die Deutsche Reichsbahn zahlte nicht. Ende 1924 musste das Werk schließen und die Belegschaft entlassen. Doch man gab nicht auf und entwickelte im Uerdinger Werk Spezialwagen, Stahlaufbauten für Omnibusse und setzte weiter auf die Straßenbahnen.
Bereits 1935 übernahm die Waggon-Fabrik Uerdingen das gesamte Aktienkapital der Düsseldorfer Waggonfabrik AG und spezialisierte sich: In Uerdingen wurden Eisenbahnwaggons gebaut, in Düsseldorf Straßenbahnen. Damals machte man mit dem Uerdinger Leichtbau-Radsatz auf sich aufmerksam, der hier entwickelt wurde. Denn 1939 war schon absehbar, dass Material knapp werden könnte und sah im Leichtbau eine Material-Quelle. Aus dem Zweiten Weltkrieg ging das Uerdinger Werk stark beschädigt hervor: Wieder waren es die Holzbearbeitungsstätten, die durch Brand- und Sprengbomben zerstört wurden. 10000 Kubikmeter Edelhölzer wurden von den Amerikanern beschlagnahmt und abtransportiert, ein Konzernteil, der in der sowjetisch besetzten Zone lag, ging ebenfalls verloren.
So blieb nach dem Krieg zunächst nur die Instandsetzung von Güterwagen.
Auch 300 Straßenbahn-Beiwagen konnten aus dem vorhandenen Material gefertigt werden und zum 50-jährigen Bestehen 1948 gab man lediglich eine Festschrift heraus. Auf eine Feier verzichtete man.
1949 fertigte man die Waggons in Ganzstahlbauweise. 1952 kaufte die Deutsche Bahn ungefähr 14900 offene Güterwagen der Gattung Omm52, die in Uerdingen entwickelt worden waren. Sie hatten nach außen gewölbte Wände. Das verlieh ihnen Stabilität, auf zusätzliche Kastenstützen konnte verzichtet werden. Sie waren vielseitig verwertbar, sie konnten sogar zu Autotransportwagen umgebaut werden. Erst ab Mitte der 1970er Jahre begann man sie auszumustern – und setzte sie Ende der1970er Jahre erneut im Inland beim Transport von Zuckerrüben ein. Ein Teil wurde in die DDR verkauft und bis 1994 ausgemustert.
1950 kam der Uerdinger Schienenbus für den Personenverkehr heraus. Auch bei dieser Entwicklung bot die Leichtbauweise den entscheidenden Vorteil. Die zweiachsigen Triebwagen wurden von unterflur angeordneten Dieselmotoren betrieben und konnten auf Nebenstrecken eingesetzt werden, die für den Betrieb mit Dampf- oder Diesellokomotiven nicht rentabel genug gewesen wären. Der Uerdinger Schienenbus wurde als Retter der Nebenbahnen bezeichnet, Streckenstillegungen konnten verzögert werden. 1492 Triebfahrzeuge dieses Typs wurden gebaut, inklusive Bei- und Steuerwagen beläuft sich die Gesamtzahl auf 3306 Wagen.
Seit den 1980er Jahren ist das Werk Vorreiter bei der Fertigung von Schienenfahrzeugen in Aluminiumbauweise. In Hohlkammerprofile gepresst, sind sie sowohl leicht wie stabil.
1981 verschwand der Name Uerdinger Waggonfabrik, der Name des Düsseldorfer Werks, DUEWAG, setzte sich durch. 1989 übernahm der Siemenskonzern das Werk, der Düsseldorfer Standort wurde 2000 aufgegeben, der Uerdinger auf 74000 Quadratmeter Produktionsfläche ausgebaut. 2400 Mitarbeiter sind hier heute beschäftigt. Damit ist Uerdingen das größte Werk im Werkeverbund der Siemens Mobility GmbH.
Heute geht es nicht mehr nur darum Gewicht zu sparen. In der Entwicklungsabteilung, in der 400 Mitarbeiter*innen beschäftigen sind, werden unter anderem umweltschonende Antriebskonzepte wie Brennstoffzellen oder Batterien entwickelt.
Fotos: flickr.de/ Dr. Werner Söffing BU. im Einsatz als Sonderzug der IHS nach Dinslaken und Krefeld.flickr.de / Jan Sluijter BU. Duewag auf einer Verkehrsausstellung in Essen, flickr.de/ Ernst-Jan Goedbloed , Autor unbekanntUnknown author, Public domain, via Wikimedia Commons