Uerdinger Geschichte(n)

MÄRCHENHAFTER TURM

MIT WEHRHAFTER GESCHICHTE

Steil ragt er aus dem Wallgarten in den Himmel, der Eulenturm. Steil und 18 Meter hoch. Sechs Stockwerke hätten darin Platz.

Unwillkürlich lässt er an die Märchen der Brüder Grimm denken. Auf der Nordseite, zum Krankenhaus hin, ist er mit Efeu bewachsen und niemand würde sich wundern, wenn sich ganz oben ein Fenster auftäte und Rapunzel ihr goldenes Haar herablassen würde. Die Zauberin hatte sie in einen Turm gesperrt, der weder Treppe noch Türe hatte. Doch die Öffnungen in der obersten Etage waren zur Verteidigung gedacht und der Eingang ist nur ein bisschen versteckt hinter Büschen. Eine Treppe im Inneren gibt es in der Tat seit langem nicht mehr. In den 1950er Jahren hatten Mitarbeiter des Gartenamtes hier Gerätschaften untergestellt. Außerdem nutzten ihn die Karnevalisten. „Hier erwachte früher immer der Hoppediz“, erzählt Marlies Schiller. Sie wohnt schräg gegenüber und weiß noch gut, wieviel Spaß die Kinder an dem Brauch der Uerdinger Narren hatten. Und natürlich waren sie fest davon überzeugt, dass der Hoppediz das Jahr über in dem Turm geschlafen hat. 2019 hatte das benachbarte Krankenhaus Pläne, den Turm beim Bau des neuen Flügels einzubeziehen und dort eine Cafeteria zu etablieren. Wogegen die untere Denkmalbehörde, die bei dem Gebäude aus dem 14. Jahrhundert gefragt werden muss, nichts einzuwenden hatte. Denkmäler sollen nach dem Willen des Gesetzgebers sinnvoll genutzt und erhalten werden. Der Eulenturm ist seit 1984 in die Denkmalliste der Stadt Krefeld eingetragen. Doch ein Antrag auf Nutzung des Eulenturms als Café wurde der Stadt dann doch nicht vorgelegt. Sie ist die Eigentümerin, hat die Verkehrssicherungspflicht und für den Erhalt des Gebäudes zu sorgen. Ob das ohne Dach auf Dauer gelingt?

 

Beim Blick auf den Turm fällt Richtung Rhein die zugemauerte Tür auf halber Höhe auf. Das war ein Ausgang auf den Wehrgang. Lässt man der Fantasie freien Lauf, kommt einem die Jungfrau Maleen in den Sinn. Ihr Vater war König und wollte seine Tochter sieben Jahre lang im Turm schmoren lassen, weil sie sich der von ihm geplanten Vermählung widersetzt hatte. Doch das Reich zerfiel in diesem Zeitraum, Maleen kratze mit einem Brotmesser den Mörtel aus den Fugen und befreite sich schließlich selbst. Auch hier gibt es eine Entsprechung zur Realität: Der Turm war eine Zeitlang Gefängnis. Bei einem Ausbruch hatten ihn die Insassen beschädigt, wovon eine Reparaturrechnung zeugt. „Ausbruchssicher“ war natürlich nicht die ursprüngliche Hauptfunktion des Turms als Teil der Befestigungsanlage. Da sollten ungebetene Gäste am Eindringen gehindert werden, und der Turm hieß „Südwest-Turm“. „Uerdingen hat schon früh, 1255, vom Kölner Erzbischof die Stadtrechte bekommen“, erklärt Paul Schiller, der früher Interessierte für den Heimatbund durch die Rheinstadt führte. Hier durfte also ein Markt abgehalten werden, es gab eine eigene Gerichtsbarkeit und die Bürger*innen waren frei. Im Gegenzug musste die Stadt für eine Befestigung sorgen. Wie die vor der großen Hochwasserkatastrophe im Jahr 1284 aussah, als Uerdingen weiter östlich lag, ist unbekannt. Man weiß nicht einmal, wo genau das war. Die Fluten des Rheins haben die Stadt komplett verschlungen. „Die neue Stadt wurde richtiggehend geplant“ sagt Paul Schiller. Daher also kreuzen sich die Straßen im rechten Winkel, im Süden, Westen und Norden wurden auch die Stadtmauern so angelegt. Nur im Westen bestimmte der Strom ihren Verlauf. Gebaut wurde die Mauer mit den Türmen in den Jahren 1325 bis 1330. Der Eulenturm gehört also zu den ältesten Gebäuden der Rheinstadt – und ganz Krefelds, das erst 1373 zur Stadt erhoben wurde Uerdingen war reich, der Strom eine gute Einnahmequelle. Weil „die Stadt an einem Prallufer lag“, wie Paul Schiller sagt, der solche Zusammenhänge aus seiner Zeit als aktives Mitglied des Uerdinger Ruderclubs kennt. An so einer Innenkurve ist die Strömung stark und das Wasser naturgemäß tief. Schiffe konnten leichter anlegen, die Gefahr auf Sand zu laufen geringer, eine Art natürliche Kaimauer. Damit etablierte sich Uerdingen als Handelsplatz und bot seinen Bürgern gute Einnahmequellen. Die Stadtmauer mit ihren Türmen schütze sie vor marodierenden Räuberbanden. Weniger haltbar war sie im Truchsessischen Krieg. In diesem Konflikt um Liebe und Religion beziehungsweise Macht lag Uerdingen an vorderster Front, das Territorium des katholischen Kölner Erzbistums grenzte hier an das der Moerser Grafen, die die evangelische Seite vertraten. In den Jahren 1583 und 1584 wurde die Stadt immer wieder geplündert und gebrandschatzt, die Besatzung wechselte ständig. „Wegen der vielen Kriege, Plünderungen und Brände gibt es keine alten Häuser“, sagt Paul Schiller. Was dem Eulenturm wiederum eine große historische Bedeutung zukommen lässt. Ein Kupferstich aus dem Jahr 1584 zeigt nicht nur, wie Soldaten in die Stadt dringen, auch der Südwest-Turm ist abgebildet. „Allerdings hat er einen rechteckigen Grundriss und ein entsprechendes Dach“, sagt Paul Schiller schmunzelnd. Der Fokus des Künstlers wie des Auftraggebers lag anscheinend nicht auf größtmöglichem Realismus. Auch im Dreißigjährigen Krieg war die Stadtbefestigung gefragt. Der Belagerung von 1641 durch die Hessen hielt sie stand, dem Überfall durch protestantisch brandenburgisch-weimarischen und französisch-hessischen Truppen am 14. Januar 1642 nicht. Am Ende blieb die Stadt im Herrschaftsbereich des katholischen Köln.

 

 

 

 

In den darauffolgenden Friedenszeiten rückte die Versorgung der Bevölkerung wieder in den Fokus, sie sollte genug zu essen haben. Weil gemahlenes Getreide vor Einführung der Kartoffel Hauptnahrungsmittel der Menschen war, brauchte man also Mühlen und ein Stich aus dem Jahr 1646 zeigt den Südwest-Turm umgebaut zur Mühle. Allerdings ist auch hier wieder Fantasie im Spiel, auf der Abbildung scheint sie nicht mehr Teil der Stadtbefestigung zu sein – was in keiner Historischen Quelle belegt ist. Auch eine Flussmühle war in Uerdingen im Einsatz: ein Schiff festgemacht am Ufer, auf dem Mahlwerke von der Strömung angetrieben wurden. Solch eine Flussmühle hielt nicht lange, Eisgang setzte ihr zu, bei Hoch- und Niedrigwasser lag sie still. Es gibt Heimatforscher, die sich vorstellen können, dass beim Bau des Südwest-Turms bereits eine spätere Nutzung als Windmühle eingeplant war. Einige der Turmmaße deuten darauf hin. Ein paar Mühlsteine vor dem vergitterten Eingang zeugen davon. Eingestellt wurde der Mühlenbetrieb um 1840. Seitdem is der Südwest-Turm ohne Funktion. Lediglich Eulen entdeckten das Gemäuer ohne Dach nach dem zweiten Weltkrieg als Nistplatz, daher der Name „Eulenturm“. Schon 1951 startete in der Uerdinger Rundschau ein Aufruf, „Rettet den Eulenturm!“ Er forderte ein Dach, die Beseitigung des Efeus, das zwar die Fantasie befeuert, aber die Mauern zerstört. Ein Ausschnitt aus der Westdeutschen Zeitung meldet Vollzug.

Der Efeumantel ist gefallen, die Schäden am Mauerwerk ausgebessert. Anlass war die 700-Jahr-Feier der Stadt Uerdingen. Für ein Dach hat es damals nicht gereicht. Seitdem ist nicht viel passiert. Eine sinnvolle Nutzung steht noch aus.

In diese Lücke ist jetzt der Uerdinger Heimatbund gestoßen. Er möchte den Turm begehbar machen, wäre bereit, eine Dauerausstellung zur Uerdinger Stadtgeschichte zu etablieren. Hier könnten Besuchenden die zeitlichen Abläufe der Entwicklung der Rheinstadt nahegebracht werden. Eine solche Nutzung würde die Untere Denkmalbehörde begrüßen, heißt es in einer E-Mail der Stadt.

Nadines Schmeckerei UERDINGEN
REZEPTE

Leckeres Wintermenü! Nadine Dorau zeigt, wie man es richtig gut zubereitet. Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim Kochen!

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